Musterung der vornehmlichen Versuche
die Theorie der Parallelen zu beweisen

diese
unterzogen einem öffentlichen Examen

A b r a h a m   G o t t h e l f   K a e s t n e r
öffentlicher ordentlicher Professor der Mathematik und der Physik, Mitglied der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften, der mathematischen Klassen der schwedischen und der preußischen Akademie der Wissenschaften, der kurfürstlichen Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt, sowie der Akademien zu Bologna und zu Perugia, Senior der königlichen deutschen Gesellschaft zu Göttingen, Mitglied der deutschen Gesellschaft und der Gesellschaft der freien Künste zu Leipzig, der lateinischen und der deutschen zu Jena

und
der antwortende Verfasser
G e o r g   S i m o n   K l ü g e l
aus Hamburg,
Verehrer der hochheiligen Theologie

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am 20. August des Jahres 1763 der christlichen Ära

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Göttingen
aus der Schultzischen Druckerei, besorgt von F. A. Rosenbusch


Dass
dem Heiligen Römischen Reich,
dem berühmten und freien Staat Hamburg,
dem sehr bedeutenden und sehr beachteten Senat,
den hocherlauchten, großartigen, herausragendsten, bedachtesten, glänzendsten und klügsten Männern, den Herren Konsuln, Staatsanwälten, Senatoren, dem Archivaren Protonotarius, den Sekretären und dem Hilfsarchivaren,
den besten Vätern des Vaterlandes,
den frömmsten, sorgfältigsten und verdientesten Verteidigern der Religion und der öffentlichen Freiheit, den gewichtigsten Vorstehern der Justiz und der Gleichheit, den erfolgreichsten und aufmerksamsten Beförderern der Wissenschaft und zugleich des Handels, den nachsichtsvollsten Herren Schutzherren und Mäzenaten
diese wie auch immer gearteten Anfänge ihrer Studien
- auf dass es bei aller Verehrung der Frömmigkeit und der Hochachtung angemessen ist -
heilig sind, wünscht
und übergibt zugleich sich und seine Musen der Schutzherrschaft so großer Männer
der demütigste Verehrer so vieler sehr bedeutender Namen, der Verfasser.


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Die vornehmlichen Versuche
die Theorie der Parallelen zu beweisen

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§. I.

Unter den Wahrheiten, welche die Sorgfalt der hervorragendsten Geister in Bewegung hielten, behauptet nicht den letzten Platz ein Theorem der elementaren Geometrie über die parallelen geraden Linien. Es haben ihre Rätsel alle Wissenschaften der Sterblichen; und das ist kein Wunder, denn es kann nicht geschehen, dass unser Verstand, der mit Grenzen umschrieben ist, nicht vieles nicht weiß, die Hintergründe und Ursachen vieler Ereignisse nicht aufspüren kann. Ich weiß jedoch nicht, ob es mehr die Schuld unseres Geistes oder der Wahrheit ist, dass gerade an der Schwelle zur Geometrie der Anstoß zu finden sei, der im Geist derjenigen, die deren Eingang zum Durchschreiten vorbereiten, zwar keine Angst vor dem Irrtum zurücklassen kann, nicht auf eine Weise jedoch, wie sie gewünscht werden kann, aus dem Weg geräumt wurde. Es gibt wenige Wahrheiten, die ohne Hilfe des Theorems von den Parallelen in der Geometrie bewiesen werden können, umso weniger gibt es, die nötig sein können, um jenes zu beweisen. Hinzu kommt, dass solange wir keine genauen Begriffe von geraden und gekrümmten Linien haben, aus deren Definitionen die Sachlage nicht entwickelt werden kann. Diese nämlich sind aufgrund ihrer Gegenstände immer ziemlich finster. Man wird jedoch nicht der Geometrie einen Schandfleck anbringen können, wenn sie in ihren Grundsätzen eine Proposition aufstellt, deren Wahrheit nicht aus genau ausgedrückten Überlegungen, sondern aus dem klaren Begriff, den wir von der geraden Linie haben, ganz sicher durchschaut wird. Ein solches ist Axiom 11 von Euklid, dass Linien, auf die eine schneidende Gerade innere und auf den selben Seiten liegende Winkel herstellt, die kleiner als zwei Rechte sind, wenn man sie ins Unendliche fortführt, auf derjenigen Seite zusammentreffen, auf der die Winkel liegen, die kleiner als zwei Rechte sind. Die meisten Anhänger der Strenge im Beweisen warfen es aus der Reihe der Axiome hinaus, aber die Beweise, mit denen sie es versuchten glaubhaft zu machen, entbehren dem Fehler keineswegs. Andere ersetzten es durch andere Axiome, die aber weder klarer noch sicherer als das euklidische sind. Wenn daher die Versuche aller gründlich abgewogen werden, tritt klar zutage, dass Euklid mit Recht unter die Axiome eine Proposition gerechnet hat, die mit keinen anderen auf rechte Weise bewiesen werden kann. Daher schien es mir die Mühe wert zu sein, wenn ich die verschiedenen Methoden der Mathematiker in der Lehre von den Parallelen gesammelt öffentlich darlege. Ich glaube, dass diese Darstellung gewiss weniger zur Geschichte der Mathematik als der des menschlichen Geistes selbst gehört. Bevor ich dies jedoch anfangen will, meine ich, mir gegenüber nicht leugnen zu müssen, wie viel ich in dieser Arbeit dem herausragenden Vorsitzenden schulde, der mich nicht nur auf seltenere Bücher hinwies und sie aus seiner Menschlichkeit heraus mit mir besprach, sondern auch das gesamte Werk zum Ausfeilen an sich nahm; dafür wird auch der gütigste Leser dankbar sein: weil er so weiß, dass er nichts liest, wenn es nicht von ihm entweder ausgeht oder gebilligt wird.

§. II.

Mit Wenigem schon werde ich erklären, worin alle Schwierigkeit der Lehre von den Parallelen gelegen ist. Wenn die euklidische Definition der Parallelen, dass sie nicht-Zusammentreffende sind, hinzugezogen wird, kann zwar sehr gut bewiesen werden, dass beliebige Geraden, die von einer dritten so geschnitten werden, dass die inneren Winkel zwei Rechten gleich sind, parallel sein werden; aber die Umkehrung dieser Proposition, dass alle Parallelen so von einer beliebigen einfallenden dritten geschnitten werden, kann nicht bewiesen werden, wenn du nicht jenes euklidische Axiom hinzuziehst. An die Stelle dieser Definition setzten viele, entweder um die Klippe, von der ich sprach, zu umfahren, oder weil sie die im Gras verborgene Schlange überhaupt nicht erkannten, andere Definitionen, die aus den Anschauungen von Parallelen entnommen waren; dass aber deren Möglichkeit bewiesen werden muss, damit sie nicht einen sinnleeren Klang, oder was mit sich selbst nicht in Einklang stehen kann, definieren, bedachten die allermeisten nicht einmal. Eine solche Definition, die der größte Teil derer benutzt, die Anfangsgründe der Geometrie schrieben, ist, dass Geraden parallel sind, wenn sie in derselben Ebene zwischen sich immer denselben Abstand bewahren. Es ist offenkundig genug, dass hier benutzt wird, dass eine Linie, die von einer Geraden immer gleich weit entfernt ist, selbst eine Gerade ist, was durch Erfahrung und aus dem Urteil der Augen, nicht aus der Natur der geraden Linie gefolgert wird. Aber davon unten mehr. Weil also die Definition der Parallelen in dieser Angelegenheit von so großem Ausschlag ist, scheint es mir nicht unzweckmäßig, jene, deren Arbeiten ich in dieser Darstellung heranziehe, so anzuordnen, wie jeder einzelne entweder die euklidische Definition oder eine andere benutzt hat. So wird die Verbindung der Wahrheiten untereinander am besten durchschaut werden, und die einander ähnlichen Beweise lassen sich besser untereinander vergleichen, wobei die Umstände der Zeiten, in denen jeder einzelne gelebt hat, vernachlässigt werden. Es wird ja hier nicht die Geschichte einer Lehre vermittelt, die durch Zusätze allmählich vermehrt wurde.

§. III.

Umfangreich behandelt diesen Stoff Proklos in den Kommentaren zu Buch I der Elemente von Euklid, mit denen zusammen sie griechisch herauskamen zu Basel bei Io. Hervagius 1533 (Folioformat).

Am Ende von Buch II, S. 49, wo er die von Euklid überlieferte Definition der Parallelen beleuchtet, erzählt er, dass sie unverändert diejenige von Poseidonios ist, der Abstandsgleiche zu ihnen sagte. Er selbst erhebt nichts gegen diese Definition, behält die euklidische jedoch im Folgenden bei und bemüht sich, dessen Axiom gegen die Einwände der Sophisten zu verteidigen. Der Begriff der Parallelen jedoch scheint für ihn nicht feststehend zu sein. Er erhebt, dass Linien nicht deswegen parallel werden, weil sie nicht zusammentreffen, und beruft sich mit Geminos auf die Hyperbel, womit er zeigen will, dass die Konvergenz bestimmter Linien nicht konvergent ('ein unzusammenneigendes Zusammenneigen') ist. Aus der euklidischen Definition heraus darf man sicherlich gerade Linien, die konvergent sind, wenn sie niemals zusammentreffen, parallel nennen.

In Buch III, S. 53, Axiom 11 (welches für ihn Postulat 5 ist)


Proklos teilt Axiom 11 unter den Postulaten
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mit und bezeichnet es als das fünfte. Axiome nennt er nämlich unbeweisbare Propositionen, die jeder Wissenschaft über Größe und Menge gemeinsam sind, Postulate aber solche, die ganz nahe zur Geometrie gehören ('die der geometrischen Materie zugehörigen').

meint er, dass es aus der Zahl der allgemeinen Begriffe klar aufgeschrieben und unter den Theoremen mitgeteilt werden muss. Er hält es nämlich für lächerlich, eine Proposition, deren Umkehrung du beweisen kannst, für unbeweisbar halten zu wollen. Bis wohin dies wahr ist, überlasse ich den Logikern zum Entscheiden; obwohl das Ausgesagte mit denselben - freilich umgekehrten - Worten aufgesetzt ist, will es mir scheinen, dass es sich in der Sache dennoch ziemlich stark von diesem unterscheidet.

In Buch IIII teilt er uns einen Versuch des Ptolemaios


Dass dieser Ptolemaios nicht Klaudios gewesen ist, darüber will ich hier nichts behauptet haben; gewiss liest man den Titel der Schrift, die ich zitiert habe, nicht bei Fabricius, Bibliotheca graeca IIII 14. Proklos lebte jedoch nach dem Astronomen Ptolemaios, wie schon Riccioli in der Chronik der Astronomen gelehrt hat, die dem Neuen Almagest vorausgeschickt ist, und derselbe Fabricius in der Proklos-Biographie, die 1700 in Hamburg herausgegeben wurde; es ist also glaubhaft, dass Proklos, wenn er Ptolemaios mit keinem zusätzlichen Buchstaben benennen will, den berühmtesten gemeint hatte.
mit, mit dem er die Wahrheit des euklidischen Axioms festigen wollte. Dieser schließt im Buch 'Darüber dass die Verlängerten von weniger als zwei Rechten zusammenstoßen' folgendermaßen. - Fig. 1 - Wenn eine Gerade EF, die zwei Parallelen AB und CD schneidet, zur selben Richtung AC innere Winkel bildet, die entweder größer oder kleiner als zwei Rechte sind, wird jene zur anderen Richtung solche bilden, die kleiner oder größer als zwei Rechte sind. Aber die Parallelen EB und FD sind nicht kleiner als AE und CF, also werden auch die Winkel auf der Seite BD größer oder kleiner als zwei Rechte sein. Das war widersprüchlich. Aber mit Proklos verneine ich, dass der Gegner es für nötig hält, diesem letzten zuzustimmen, nämlich dass es aus der Idee der Parallelen durchsichtig sei, dass so groß, wie die Summe der Winkel zu den Richtungen A und C ist, auch die zu B und D ist.

Proklos selbst nimmt an, daß das euklidische Axiom zeigt, dass der Abstand zweier Geraden, die unter einem beliebigen Winkel aus demselben Punkt herausgeführt werden, schließlich größer als jeder Angebbare wird. Dieses Axiom benutzte auch Aristoteles, Über den Himmel I 5, um glaubhaft zu machen, dass die Welt endlich ist. Aber was ist es, warum wir jenes deutlicher und sicherer als das euklidische einschätzen? Man stützt sich auf folgendes Prinzip: dass eine Größe, die man als fortwährendes Wachsen auffasst, immer gleiche und zumindest endliche Zuwächse einnimmt; dass dies allzu allgemein ausgesagt ist, wird jedem klar sein. Darüberhinaus scheint es mir nicht ausreichend festgelegt zu sein. Denn wenn gestattet werden soll, dass die von einem der beiden Schenkel auf den jeweils verbleibenden gefällten Lote, die deren Abstände messen, als unendlich große schließlich entrinnen; wo wird dies schließlich geschehen? Etwa bei endlichem Abstand vom Schnittpunkt oder bei unendlichem? Falls ersteres, ist es aus mit dem Axiom Euklids, falls letzteres, wird es auf keine Weise von jenem verschieden sein. Welcher spitze Winkel nämlich auch immer vorgelegt sei, ist es ausreichend klar, dass Lote von dem einen Schenkel auf den anderen gefällt werden können, daher wird das euklidische Axiom speziell immer wahr sein; ob aber jene Lote jeden beliebigen gegebenen Abstand abschneiden können, das ist, was in Frage steht. Wenn sie wiederum ihr Axiom anwenden, um die Wahrheit des euklidischen zu erweisen, nehmen Proklos und alle, die jenem folgen, stillschweigend an, dass alle Parallelen ein gleiches und zumindest endliches Intervall bewahren. Wenn die Winkel DFE und GEF kleiner als zwei Rechte sind, sagt er, soll EB so geführt werden, dass BEF + DFE = 2 R, der Abstand der Geraden EB und EG wird jede angebbare Größe schließlich übersteigen, also auch das Intervall der Parallelen EB und FD. Aber wenn einer sagen würde, dass die Geraden mehr und mehr voneinander weichen? Gewiss wird einer, sobald er das euklidische Axiom verneint hat, dies sehr gut beweisen können.

§. IV.

Unter den Neueren hat niemand über diese Angelegenheit ausführlicher gehandelt als Hieronymus Saccherius, Zürcher Professor der Mathematik aus der Gesellschaft Jesu, der, um Euklid, der wegen des Theorems über die Parallelen und der Definitionen der Theorie der Gleichheit und der Zusammensetzung bekämpft wurde, zu verteidigen, ein einzelnes Buch herausgab, das den Titel trägt:

'Der von jedem Muttermal befreite Euklid, oder geometrische Versuche, wodurch gerade die ersten Anfänge der allgemeinen Geometrie gefestigt werden' (Mailand 1733, Quartformat, 142 S.). Das erste Buch dieses Werkes widmet der Autor, Euklids Axiom über die parallelen geraden Linien zu beweisen. Zwar ist leicht zu urteilen, dass dies nicht geschehen kann, ohne dass er irgendetwas Menschliches zulässt, der beim Beweisen des Theorems, das einem allgemeinen Begriff gleichgestellt werden muss, so große Umwege geht, dass der Beweis mehr als 100 Seiten füllt. Ich werde dennoch versuchen, sein Vorgehen in Wenigem vorzustellen. Er zeigt zuerst, - Fig. 2 - wenn einer beliebigen gegebenen Geraden GE gleiche Senkrechte GA und EC anliegen, dass an der Verbundenen CA die Winkel bei A und C gleich sein werden. Von da aus bildet er drei Hypothesen, die von der Bedingung der Winkel ACE und GAC, je nachdem ob sie rechte oder spitze oder stumpfe waren, ihren Namen erhalten. Er bewirkt ferner, dass eine dieser Hypothesen die alleinige wahre ist, wenn sie schon in einem Fall wahr ist; das heißt, wenn in irgendeinem speziellen Fall erwiesen werden könnte, dass diese Winkel zum Beispiel rechte sind, werden diese immer solche sein, welche Größe der Linien GE und AG auch immer vorläge. In den Propositionen 11 und 12 zeigt er, - Fig. 3 - dass aus der Hypothese des rechten und des stumpfen Winkels folgt, dass weil die Geraden AD und AB den Spitzen DAB enthalten, die Gerade DA einem beliebigen, auf AB selbst aufgerichteten Lot Pl bei endlichem Abstand AL begegnet. Daher folgert er, dass die Hypothese des stumpfen Winkels sich selbst zerstört, weil sobald dieses aufgestellt ist, die Hypothese des rechten Winkels die einzige wahre ist. Darauf befindet sich der Autor gänzlich darin, vieles zu folgern, was aus der Hypothese des spitzen Winkels fließt. Dabei findet sich viel überflüssiges, alles aber liegt weit entfernt von derjenigen Eleganz, die in geometrischen Beweisen richtigerweise gesucht wird, und deren beste Beispiele die alten Geometer gaben. In den Fallen, die er besagter Hypothese stellt, fängt sich der Autor selbst, der so große Umwege geht, so dass ich wenn ich wohl nichts in seinem Beweis tadeln könnte, dennoch lieber mich mit dem euklidischen Axiom zufriedengeben wollte, dessen Wahrheit, obwohl sie nur durch einen klaren Begriff durchschaut worden ist, dennoch sicherer angewendet wird, als man in so dunklen und eingerollten Überlegungen hofft, dass kein Fehler begangen wurde.

In Proposition 23 zeigt Saccherius, dass zwei Geraden AX und BX, die sich in der gleichen Ebene befinden, entweder ein gemeinsames Lot haben, das heißt eine Gerade, die zu jeder von beiden senkrecht ist, auch in der Hypothese des spitzen Winkels, oder dass sie in eine und dieselbe von beiden Richtungen fortgeführt sich immer mehr aneinander anschließen, wenn nicht irgendwann bei endlichem Abstand die eine auf die andere fällt. Er erwägt also schon Geraden, von denen weder ein gemeinsames Lot, noch eine Begegnung bei endlichem Abstand angenommen wird. - Fig. 4 - Sei XBA ein Rechter, BAX ein Spitzer, und schließe sich AX so immer mehr und mehr an BX an, dass deren Abstand immer größer sei als irgendeine gegebene Größe, zeigt Proposition 25, dass so die Hypothese des spitzen Winkels zerstört wird. Es soll also übrig bleiben, dass deren Abstand schließlich kleiner als jedes Angebbare wird, in welchem Fall gesagt werden kann, dass sie im Unendlichen zusammentreffen, sie in Wirklichkeit jedoch nirgendwo einen gemeinsamen Punkt haben. Wenn dies nämlich geschähe, wäre wegen der Basis AB und der gegebenen Winkel bei A und B das Dreieck AXB auf jede Weise festgelegt, daher XB endlich, gegen die Hypothese. Jedes Unendliche nämlich ist nichtfestgelegt durch seine Natur. Saccherius aber nahm diesen Fall so an, als ob die Geraden AX und BX in Wirklichkeit in einem Punkt zusammenkämen. Denn in Proposition 28 und folgenden will er zeigen, dass in der Hypothese des spitzen Winkels die beiden Geraden AX und BX ein Lot in einem Punkt gemeinsam haben werden. Nachdem von AX aus auf BX Lote LK und HK gefällt wurden, zeigt er, dass die Winkel bei L, H und D immer kleiner werden und sich umso mehr an einen Rechten anschließen, umso weiter sie vom Punkt A entfernt sind, und zwar so, - Fig. 3 - dass wenn der Winkel ALP gegeben sei, den das Lot AP aufspannt, das größer ist als AB, und genommen werde BK = LP und CB = AP mit dem auf BX aufgerichteten Lot DK, der Winkel ADK - R kleiner wäre als ALP oder CKB. Dadurch wird nicht erreicht, dass irgendwann ADK ein Rechter wird; denn wenn dies erreicht werden sollte, hätte, auch wenn man einräumt, was über das Unendliche gemeinhin ausgesprochen wird, noch gezeigt werden müssen, dass irgendwann ADK - R nicht größer als irgendein verschwindender Winkel ALP werden wird. Wenn einer sich solches ausdenkt, ist es niemand, der nicht sieht, dass LP unendlich sein muss, damit AP wenigstens endlich wird, ja vielmehr dass es irgendeine gegebene Endliche überschreitet. Nachdem also der gesamte Beweis von Saccherius eingeräumt wurde, räumt man zumindest ein, dass ADK für einen Rechten gehalten werden kann, wobei BK selbst unendlich wird. Und Saccherius selbst verneint dies nicht, denn so beschließt er einen Korollar, der dieser Proposition angefügt ist: dass sie in ein und demselben Punkt X, der unendlich abgelegen ist, ein gemeinsames Lot haben. Daraus aber wird nichts widersprüchliches gefolgert werden, wenn man sagen will, dass der Winkel X, unter dem sich die Geraden AX und BX im Unendlichen schneiden, verschwindet. Dass er endlich ist, zeigt Saccherius nirgendwo; für diesen Fall ist sein Beweis auch nicht geeignet, der voraussetzt AP > AB und LP < BX. Schon wenn AXB endlich sei und der gegebene Winkel ALP kleiner als das, ist klar, dass LP größer wird als BX, wenn AP größer werden sollte als AB, daher zeigt der Beweis, der diesen Fall nicht anrührt, nicht einmal, dass ADK - R schließlich kleiner wird als der endliche Winkel AXB, sondern nur, dass ADK - R kleiner ist als der Winkel CKB, dessen Schenkel BK kleiner sein muss als BX und der immer größer sein wird als AXB. Wenn aber der Winkel AXB als unendlich werdend gesetzt wird, wird jeder beliebige, der die Formel des Unendlichen benutzt, bekräftigen, dass dieselbe Gerade in demselben Punkt zu zweien senkrecht ist. Sobald man nämlich die Gerade genau bei den rechten Winkeln zur anderen zieht, wird sie mit der verbleibenden einen Stumpfen umfassen, der den Rechten um einen verschwindenden Winkel überschreitet und daher für einen Rechten gehalten werden kann. Mühevoll freilich, wie alles von ihm, zeigt Saccherius in Lemma 5, S. 84, dass alle Rechten genauestens gleich sind ohne jeden auch unendlich kleinen Abzug. Aber dies will er ohne Berechtigung auf den Winkel übertragen, den das Lot, das genau im rechten Winkel zu BX selbst errichtet wurde, mit AX umfasst. Er hat glaubhaft gemacht, dass dieser, wenn er in nichts einen Fehler begangen hat, so nur sich an den Rechten anschließt, dass er nur um eine verschwindende Größe diesen überschreitet. Dies, wenn wir den Ausdruck des Unendlichen mit Saccherius benutzen. Wenn wir uns davon, wie es sich gehört, entsprechend dem Beispiel der Alten gerade in den Anfängen der Geometrie enthalten, zeigt Saccherius nichts anderes, als dass aus der Hypothese des spitzen Winkels folgt, dass die Winkel bei L, H, D fortlaufend abnehmen; darin wird nichts widersprüchliches sehen, wer am euklidischen Axiom zweifelt.

§. V.

Einen anderen Beweis enthält der zweite Teil von Buch I, in dem er zu zeigen versucht, das die Hypothese des spitzen Winkels sich unmittelbar widerspricht. Er betrachtet nämlich eine Kurve, - Fig. 2 - die hervorgebracht wird, indem er die Enden aller an eine beliebige gegebene Gerade GE angesetzten gleichen Lote verbindet, er meint, dass sie der Basis gleich ist und zugleich größer als diese, weil sie größer ist als AC, die größer ist als GE. Dass sie gleich ist, bemüht er sich auf doppelte Art und Weise glaubhaft zu machen; zuerst zeigt er, dass einzelne Elemente der Kurve Elementen der Basis gleich sind, aber so, dass gezeigt werden kann, dass eine beliebige Kurve, die durch eine bestimmte Ordinate, die zur Linie der Abszissen senkrecht ist, in ähnliche Hälften geteilt wird, ihrer Basis GE gleich ist. Weil er auch selbst diesem Beweis nicht genug traute, reichte er noch einen dar. Er lässt einen Kreis, dessen halber Umfang gerade GE gleich ist, über dieser Basis rotieren, so dass alle seine Punkte nacheinander an diese anschließen, während diese Umdrehung vonstatten geht, beweist er, dass die einzelnen Punkte des anderen Halbumfangs die einzelnen Punkte der Kurve ABC oder AbE schneiden. Von daher schleußt er die Gleichheit von ihr und der Basis ein. Weil die Linie aber nicht durch Hinzufügen von Punkten erzeugt wurde, sondern durch Fließen eines Punktes, entzieht sich dieser Beweis jeder Aussagekraft. Davon abgesehen, wie unzuverlässig diese Art des Überlegens ist, meine ich, dass es daraus genug erhellt, dass


über dieses Paradoxon siehe von dem herausragenden Kaestnerus: Anfangsgründe der Analysis Endlicher Grössen S. 295.
wenn ein beliebiger Kreis über eine dem Umfang gleiche Gerade rollt, ein beliebiger innerer konzentrischer Kreis auch über eine Gerade, die der vorigen gleich ist, mit der gleichen Umdrehung rollt. Diese Kurve betrachtete nicht allzu erfolglos und als ein in der Fülle der geometrischen Bildung besser Unterrichteter Vitale Giordano da Bitonto, dessen Versuche Saccheri ganz und gar verborgen gewesen zu sein scheinen. Siehe unten § 16.

§. VI.

Ich hoffe, dass ich vom Leser Nachsicht erwirken werde, wenn er von der Darlegung eines so weitläufigen und unstimmigen Beweises ermüdet ist. Um diese zu erlangen, will ich gleich eine kürzere vorführen, die sich in den Elementa matheseos von Christian August Hausenius (Leipzig 1734, Quartformat) befindet. Er hatte in Bemerkung 4 von Proposition 10 gezeigt, - Fig. 3 - dass wenn sich von einem gegebenen Punkt L aus die zu PA gezogene Gerade LA zu LP in einem gegebenen Winkel ALP neigt, sich eine andere zu derselben [Geraden] LP in größerem Winkel neigt. Daraus ergibt sich in Fall 1 von Proposition 13, wenn bei P ein rechter Winkel und ALP ein spitzer ist, dass die Gerade LA nicht nicht auf AP fallen kann, denn andernfalls könnte aus dem Punkt L keine Gerade zu PA gezogen werden, die sich aus L heraus zu AP unter einem größeren Winkel als ALP neigt, gegen Bemerkung 4. Diese Bemerkung aber folgert daraus, dass LA gerade AP begegnet, dass sich die unter einem größeren Winkel als gerade ALP zu PA gezogene Gerade zu PL hin neigen kann: wird diese Begegnung nicht eingeräumt, ist es nicht abwegig, dass die Geraden aus L heraus sich nicht unter größeren Winkeln als gerade ALP neigen können. Es entfällt ja die Bedingung der Bemerkung.

§. VII.

Nun kommt es mir zu, einen Beweis erklären zu müssen, den viele benutzten, um zu zeigen, dass - Fig. 5 - wenn eine beliebige Gerade AB die eine der zwei Geraden BH und AG bei rechten Winkeln, die andere schräg schneidet, die Lote, die auf ersterer von diesen zur selben Seite der Geraden AB aufgerichtet wurden, alle entweder größer oder kleiner als AB sein werden. Diese Methode benutzte Malezieu in 'Anfangsgründe der Geometrie von Seiner Exzellenz dem Herzog von Burgund' (Paris 1722, Quartformat). Dieses Werk wurde, wie in der Vorrede erzählt wird, im Jahre 1696 und dem darauffolgenden vom Grafen von Burgund persönlich aufgeschrieben, der es pflegte, die Rede seines Lehrers, Dom de Malezieu, an einem der folgenden Tage, nachdem er sie gehalten hatte, auf ein Blatt zu skizzieren und die Beweise selbst in Ordnung zu bringen. Ich werde es jedoch eher mit einem Herausgeber zu tun haben, für den es sich gehört, dass er die Verantwortung für die Irrtümer seines Schülers trägt. In Proposition 1 von Buch II will er zeigen, dass wenn eine Linie AB senkrecht zu CD ist, schräg aber zu EF, es so sein wird, dass jede andere, zur selben [Gerade] CD senkrechte Gerade GH schräg zu EF ist, und dass jene, die der Begegnung der Geraden EF und CD näher ist, auch die kürzere sein wird. Der Beweis geht zuerst darin fehl, dass er, nachdem es ziemlich nachlässig ausgeformt wurde, vieles übergeht, was notwendig war, genau abgewägt zu werden, am meisten aber, dass er annimmt, dass die zwei Geraden EF und CD zusammentreffen, und das Bewiesene auf eine beliebige Gerade EF, die die Linie AB in B schräg schneidet, im Folgenden überträgt. Der Autor befiehlt, dass im Punkt A ein Lot zu EF hergestellt wird und ein anderes wiederum in C, wo jenes die Linie CD schneidet; und so schreitet er voran, bis man zu irgendeinem LH kommt, das jener im gegebenen Punkte H oder jenseits begegnen soll. Dreierlei wir hier ohne Beweis benutzt: dass das zu einer der Geraden CD und EF gezogenen Lot der anderen begegnet und unter einem schrägen Winkel begegnet, und dass die Punkte, in denen behauptet wird, dass die aus CF heraus errichteten Lote dem selben CD begegnen, schließlich jenseits von H schneiden werden. Eine Medizin kann zwar für diesen Beweis herbei gebracht werden, wenn die Verhandlung um die Lote zu Seiten des stumpfen Winkels geht, nicht aber, wenn um jene, die auf der anderen Seite schneiden, es sei denn die Bedingung wird hinzugefügt, dass die Geraden EF und CD zusammentreffen. Aber schon in der folgenden Proposition wird so überlegt: Wenn PR in A zu AC senkrecht ist, werden die von PR abgeschnittenen Teile der Lote zu CD gleich sein; denn die unter einem beliebigen schrägen Winkel gezogene [Gerade] EF wird die ungleichen Teile auffangen. Nichts wird hier über das Zusammentreffen der Geraden EF und CD, also auch nicht die vorausgehende Proposition hier zu Hilfe gerufen werden können.

§. VIII.

So jener. Derselbe zwar, aber mit weitaus größerer Akribie ausgeformte Beweis ist es, den der hochberühmte Karsten in der elementaren und höheren theoretischen Mathematik (Rostock und Greifswald 1760, Oktavformat) gegeben hat. Sehr gut zeigt er im zweiten Teil des Beweises § 91, - Fig. 5 - dass die Lote auf der Seite des stumpfen Winkels immer größer werden, sei es, dass jene AC, CM usw., die abwechselnd an CD und EF aufgerichtet wurden, diesen unseren Geraden begegnen, oder nicht. Aber der erstere Teil des Beweises scheint für ihn persönlich nicht so erfolgreich zu verlaufen. Er zeigt, - Fig. 6 - wenn aus B heraus zu G, aus G heraus zu H usw. abwechselnd Lote gefällt werden, dass AB > GH sein wird, GH > IK und so fort. Die Lote zu BD hin nehmen also ab, solange aus den Punkten heraus, wo sie gerade an BD anliegen, Lote so zu AD hin aufgerichtet werden können, dass sie auf die Seite von CD fallen, das heißt: wenn die Winkel HGC und KIC immer spitz bleiben. Wenn einer von ihnen ein Rechter wird, werden jene Lote BG, HI usw. niemals nach CD gelangen, weil auf der anderen Seite ein Lot, das gerade AC und BD gemeinsam ist, zu BD hin aufgerichtet wird; und der Winkel ACD wird, wie in jener Hypothese des spitzen Winkels von Saccheri, ein Spitzer sein. Es bleibt also übrig, zu zeigen, nachdem die wechselseitigen Lote BG, GH, HI usw. gefällt wurden, dass die Winkel bei G, I usw. immer Spitze bleiben, oder, was dasselbe ist, AG + GI + IC + usw. größer als eine beliebige angebbare [Größe] wird.

§. VIIII.

Es gab auch einen Araber, Nasir al-Din [al-Tusi], der einen Beweis des euklidischen Axioms in Angriff nahm, den Wallis, nachdem er von Eduard Pocock lateinisch wiedergegeben worden war, in öffentlichen Vorlesungen zu Oxford 1651 vorstellte. Er wurde eingefügt in Bd. 2 seiner Werke, S. 669 ff., in der geometrischen Erörterung über Postulat 5 und Definition 5 des sechsten Buches von Euklid. Dessen Beweiskraft und Reihenfolge und die von jenem, den der hochberühmte Karsten dargereicht hat, ist dieselbe, außer dass er als Lemma annimmt, was jener zu beweisen unternahm, dass die Lote auf der Seite des spitzen Winkels immer kürzer werden; ob nicht aber schließlich der Winkel nämlich wie KIC ein Rechter werden könne, legt er nicht fest. Daher kann dieser Beweis nicht losgelöst von allen Zahlen geführt werden. Vielleicht war es dieser, den Clavius in irgendeinem arabischen Euklid finden zu können meinte, aber seiner habhaft zu werden er vergeblich wünschte in der Bemerkung zu 28. 1. In dem verbreiteten arabischen Euklid, aus dem der lateinische von Campanus entstand, befand er sich nicht, wie der herausragende Vorsitzende auf S. 11 des 1750 in Leipzig herausgegebenen Briefes an Kardinal Quirinus mitteilt, in dem er die erste Euklid-Edition beschreibt, die nach der Erfindung des Buchdrucks herauskam.

§. X.

Genau dieser Wallis versuchte einen Beweis, nämlich um dem Sanilius zu Willen zu sein, der seinen Professoren - er hatte nämlich einen Lehrstuhl für Geometrie zu Oxford eingerichtet - dies als Empfehlung überlassen hatte. Er meint, dass unter den Axiomen jenes umstrittene von Euklid richtig wiedergegeben wird. Dass nämlich richtigerweise nicht nur diejenigen für Grundsätze gehalten werden, die nicht bewiesen werden können, sondern auch diejenigen, die besonders in ihrem eigenen Licht klar sind, so dass sie eines Beweises nicht bedürfen. Darin zwar scheint er mir richtig zu empfinden, wenn, was bei unserem Axiom eintritt, keine Wahrheiten oder allgemeinen Begriffe vorgebaut werden können, die leichter oder sicherer erkannt würden. Was er aber bei anderen beklagt, dass sie weniger passende und ungewissere Axiome an die Stelle des euklidischen gesetzt haben, dies scheint er selbst nicht vermieden zu haben. Nachdem er nämlich bewiesen hat, - Fig. 3 - dass alle Punkte einer beliebigen Gerade AL, die unter einem gleich bleibenden spitzen Winkel LAP über die Gerade AP bewegt wurde, früher über LP hinübergegangen sind, als der Punkt A bei P landet, nimmt er einfach an, dass zu einer beliebigen gegebenen Figur eine ähnliche andere von beliebiger Größe konstruiert werden kann. Er sagt, dass Euklid die Definition ähnlicher Figuren, wenn es ihm selbst so vorgekommen wäre, dem ersten Buch voranstellen gekonnt hätte. Ob man aber nicht auch hätte beweisen können, dass alle Dreiecke dieselbe Winkelsumme haben, wenn Axiom 11 nicht eingeräumt würde? Wer dies verneint, kann nicht sagen, dass das Postulat von Wallis sich nicht widerspricht. Er könnte sogar beweisen, dass keine Dreiecke außer gleiche einander ähnlich sein können. Dass nämlich - Fig. 7 - der äußere Winkel CAD eines jeden Dreiecks BAC größer oder kleiner ist als die Summe der zwei entgegengesetzten inneren, wird er anfechten. Wenn er diesen nämlich in einem Fall als jenen gleich ansieht, muss er dasselbe in allen genau diesem eingestehen, was leicht gezeigt werden kann. Infolgedessen aber würde dessen Hypothese umgeworfen. Also wird Δ CAD eine größere oder eine kleinere Winkelsumme haben als Δ BCD, und ebenso wird Δ AED (nachdem ∠ EAD = ∠ CBD gemacht wurde) eine größere oder eine kleinere solche haben als Δ ACD, also auch als Δ BCD. Also wird ∠ AED größer oder kleiner sein als ∠ BCD; also werden die Dreiecke BCD und AED nicht ähnlich sein, mögen sie auch zwei einzelne übereinstimmende Winkel haben. Und es geht nicht an, dass sich einer auf Euklid berufen kann, der postuliert, dass durch gegebenen Mittelpunkt und Abstand ein Kreis beschrieben werden kann. Dies ist nämlich wegen der Einfachheit der Handlung klar genug, während bei der Konstruktion von ähnlichen Figuren sowohl proportionale Seiten als auch von jenen eingeschlossene gleiche Winkel verlangt werden. Ob dies immer gleichzeitig erhalten werden kann, durchschaut man nicht so leicht. Auch scheint gerade seine Argumentation vom Kreis aus für eine beliebige Figur nicht gesichert zu sein; Euklid postuliert nicht einmal, dass zu einem beliebigen Kreis ein anderer ähnlicher konstruiert werden kann.

§. XI.

Andere benutzten jenes Argument, dass zu einem beliebigen gegebenen Winkel und einem Punkt zwischen dessen Schenkeln ein Dreieck konstruiert werden kann, in welches hinein jener Punkt fällt. Unter diesen ragen Männer hervor, die bei weitem größer sind als mein Lob, Segner und Karsten. Jener in den Anfangsgründen der Arithmetik, der Geometrie und der geometrischen Rechnung, im magdeburgischen Halle 1756, Oktavformat, und in den 'Vorlesungen über die Rechenkunst und Geometrie' (Lemgo 1747, Quartformat). Es wird postuliert in § 9 des ersteren dieser Werke, dass von zwei in einer gegebenen Ebene aus demselben Punkt heraus gezogenen geraden Linien die eine von der anderen fortlaufend und übereinstimmend zurückweicht, so dass deren Zwischenraum schließlich größer ausfällt als alles, was angegeben werden kann. Da hätte ich gewünscht, dass hochberühmter Autor genauer erklärt hätte, was übereinstimmend zurückweichen sein soll. Dass dies nämlich, bevor das Theorem über die Parallelen festgemacht ist, erledigt werden kann, glaube ich kaum. Daher bekräftigt er in § 10, dass jede Linie AC, die durch einen Punkt A außerhalb der gegebenen [Linie] BD gezogen wurde, wenn sie sich an jene anschließt, ihr schließlich auch begegnen wird; wenn sie aber auch nicht zurückweicht, mit immer demselben Zwischenraum an der Seite von BD ins Unendliche fortgesetzt ausläuft; aber einen Beweis erbringt er nicht. Daher sagt er in § 11, - Fig. 8 - dass jede beliebige Gerade durch einen Punkt F, der zwischen den Schenkeln des Winkels DEB liegt, mit beiden oder mit einer von diesen beiden zusammentrifft. Dies freilich leitet sich richtig aus Obigem ab, wenn eingeräumt wird, dass dessen Wahrheit aus eigenem Licht leuchtet. Nicht allen jedoch kam es so vor, wenn auch niemand daran zweifeln wird, die Versuche bezeugen es, mit denen viele und ausgezeichnete Mathematiker versucht haben, es zu festigen. Es könnten nämlich die Winkelschenkel, obwohl sie immer voreinander zurückweichen, dennoch immer um einen endlichen Zwischenraum auseinander stehen, wie die Hyperbel vor einer zur Asymptote parallelen Gerade, die innerhalb ihres Hohlraums gezogen ist, immer mehr zurückweicht, nicht jedoch über den Abstand der Parallelen von der Asymptoten hinaus. Es könnten die parallelen Geraden selber gegenseitig vor sich auseinander springen. Dass dies abwegig ist, wissen wir nicht aus gesetzmäßig angestellten Überlegungen, nicht aus genauen Begriffen über die gerade und die krumme Linie, sondern aus der Erfahrung und dem Urteil der Augen, an das wir gewöhnt sind und deshalb urteilen, dass was im Einzelfall geschieht, immer geschieht.

§. XII.

Hochberühmter Karsten nimmt in den Vorlesungen der elementaren theoretischen Mathematik, die zu Rostock und Wismar 1758 im Oktavformat herausgegeben wurden, als Ausgangspunkt jenes Theorem, das glänzender Segnerus in § 11 mit Hilfe zweier Axiome glaubhaft gemacht hat. Daher schon kommt es mir zu, diesbezüglich das hervorzuheben, was wegen der umgeänderten Methode des Beweisens anders ist. Er scheint mir nämlich zu benutzen, was in Frage steht. - Fig. 1 - Wenn nämlich mehrere parallele Linien CD durch denselben Punkt E gezogen werden können, wird ein beliebiger Punkt F auf der Linie CD so gelegen sein, das eine durch ihn gezogene [Gerade] CD keinem der beiden Schenkel AE und EG begegnet, ja es wird nicht einmal eine die Schenkel AE und EG verbindende Gerade gezogen werden können, für die der Punkt F auf die Seite des Punktes E fällt.

§. XIII.

Zu Den Haag kamen 1758 im Quartformat heraus 'Anfangsgründe der Geometrie, enthaltend die sechs ersten Bücher von Euklid, in eine neue Ordnung und auf das Niveau der Jugend gebracht unter der Leitung von M. Koenig und revidiert von M. Kuypers'. An die Stelle des euklidischen Axioms wird ein anderes gesetzt, nämlich - Fig. 1 - dass eine Linie EG, die von den Parallelen AB und CD, die gleiche Wechselwinkel haben, eine schneidet, auch die andere schneidet. Dieses Axiom ist mit dem euklidischen tatsächlich identisch. Jede Gerade EG nämlich, die zu CD so geneigt ist, so dass GEF und EFD kleiner sind als zwei Rechte, schneidet notgedrungen die Gerade AB, die bewirkt, dass BEF + EFD = 2 R. Dass Euklid selbst dieses neue Axiom als von sich aus offensichtlich in der Vorbereitung zu den Beweisen der Propositionen 30 und 31 von Buch I angenommen hat, meint der Autor, während es jedoch unmittelbar aus Axiom 11 fließt. Und niemals etwas einfach zu benutzen, wovon er nicht genaue Begriffe und Beweise herangezogen hatte, hatte jener sich zur Gewohnheit gemacht.

§. XIV.

Nun kommt es mir zu, einen Mann in Erinnerung zu rufen, auf den man wegen seiner herausragenden Verdienste für die gelehrte Öffentlickeit und auf den auch ich aus vielen Gründen immer in dankbarem Sinn wieder zurückkommen muss, Abraham Gotthelf Kaestnerus, der in den Anfangsgründen der Arithmetik und der Geometrie, die in der Heimatsprache aufgeschrieben sind (Anfangs-Gründe der Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie und Perspective, Göttingen 1758, Oktavformat), Wert darauf legte, das euklidische Axiom zwar nicht zu beweisen (gerade er nämlich gesteht dies in der Vorrede ein), es jedoch so in Proposition 11, Korollar 2-6, zu erhellen, dass ich schlicht nicht weiß, was zur vollständigen Überzeugung von dessen Wahrheit fehlen soll. Weil das Buch sich in den Händen aller abnutzt, wird eine längere Erklärung seiner Methode nicht nötig sein. Die Beweiskraft der Überlegung ist darin gelegen, - Fig. 1 - dass eine Linie EG, welche die Winkel GEF + EFD < 2 R bildet, wenn man sagt, dass sie mit FD nicht zusammentrifft, über EF in unverändertem Winkel GEF bewegt schließlich in die Lage eg gelangen wird, in der sie die Linie FD schneidet. Kein Überschneidungspunkt aber wie etwa g, kann der erste genannt werden, weil in gD und Ee immer Punkte übrig sind, durch die die Gerade EG eher hindurchgehen musste, als sie bei g angelangt wäre. Außerdem, wenn EG und FD nicht zusammentreffen, konnte es für sicher gehalten werden, dass eg eben diesem FD begegnet, so dass Feg = FEG; kein Gedanke aber eröffnet, warum das Dreieck Feg möglich sein soll, ein anderes, das zumindest eine Basis FE größer als die Basis FE hat und an der Basis dieselben Winkel, unmöglich.

§. XV.

Von denjenigen, welche die Definition Euklids beibehalten haben, waren die, welche auch zu Rate zu ziehen möglich war, jene, deren Versuche mir am meisten denkwürdig erschienen. Gleich rüste ich mich, das Schicksal unseres Theorems bei denjenigen darzustellen, die bei unveränderter Definition der Parallelen behaupteten, dass sie Abstandsgleiche sind; es ist möglich, von diesen wiederum verschiedene Klassen zu unterschieden. Oben (§ 2) habe ich schon erhoben, dass in dieser Definition das Theorem oder Axiom verborgen ist, dass eine gerade Linie, die über einer anderen unter immer demselben Winkel bewegt wird, am anderen Ende von ihr eine Gerade beschreibt. Definitionen aber, die eine Bezeichnung in dem Sinne erklären, in dem sie sie begreifen, erweisen nicht, dass die Sache, die sie definieren, darin selbst möglich ist. So lehrt Euklid, dass das Quadrat eine vierseitige und rechtwinklige Figur ist, ob eine solche konstruiert werden kann, bevor die Theoreme über die Parallelen festgemacht sind, könnte niemand bekräftigen. Es ist also nicht gestattet, diese Definitionen früher hinzuzuziehen und ihnen die in ihnen sich verbergenden Wahrheiten zu entlocken, als gezeigt worden ist, dass diejenigen Begriffe, die in der Definition verbunden werden, sich nicht widersprechen; dieses Gesetz beachtete auch Euklid immer. Daher wollten einige, aber wenige, erweisen, dass jene Linie eine Gerade ist, die vom Ende einer Geraden beschrieben wird, die über einer Geraden unter einem gleich bleibenden Winkel bewegt wurde. Die einen begriffen dies an Stelle eines Axioms, die anderen, zu denen fast die gesamte Masse von Schreibern der verbreiteten Anfangsgründe verwiesen werden muss, scheinen überhaupt verkannt zu haben, dass es ihnen obliegt, dies glaubhaft zu machen.

§. XVI.

Zur ersten Klasse gehört ein Werk, das zu Rom 1680 im Folioformat herauskam unter dem Titel: 'Der wiederhergestellte Euklid, oder die antiken geometrischen Anfangsgründe, wiedererrichtet und erleichtert von Vitale Giordano da Bitonto, Lektor der mathematischen Wissenschaften in der königlichen Akademie, unterhalten von dem überaus christlichen König in Rom'. Der Autor nennt in Definition 34 Geraden parallel, die sich, wenn sie fortgesetzt werden, nicht aneinander anschließen und auch nicht voreinander zurückweichen. Dass solche Geraden möglich sind, verspricht er, später zu beweisen. Dem Versprochenen Genüge zu tun, versucht er nach Proposition 23, wo er zeigen will, dass eine Linie, von deren einzelnen Punkten auf eine gegebene Gerade gleiche Lote fallen, selbst eine Gerade ist. Also kehrt er, um sein 'Fünftes' auszusagen, dahin zuück, dass wenn ABC eine nach D zu ausgehöhlte Kurve sei, von deren unzähligen Punkten Lote auf eine beliebige andere Gerade fallen sollen, alle jene nicht untereinander gleich sind. Er glaubt, dass er dies so beweist. - Fig. 9 - Es sollen zwei beliebige Punkte der Kurve durch eine Gerade AC verbunden werden, auf die aus einem anderen beliebigen Punkt B der Kurve eine Senkrechte BD fallen soll. Auf BD soll eine beliebige [Strecke] DF genommen werden, und zu CA soll durch A eine Senkrechte AG = DF aufgerichtet werden. Nun zeigt er - ob angenommen werde, dass bei G und F Rechte sind, oder nicht (dass sie gleich sind, ist sicher) -, dass das Lot aus A heraus auf GF größer ist als das Lot aus B heraus auf GF. Dies wird wegen dem willkürlich angenommenen F für die unzähligen Geraden gelten, die durch unzählige Paare von Punkten gezogen wurden, die von AC abstandsgleich sind, wenigstens aber durch O und E, wenn AO = DE. Nachdem wiederum eine andere Sehne HL gezogen und alles wie zuvor gemacht wurde, wird erwiesen, dass das Lot aus M heraus auf RT kleiner ist als dasjenige, welches aus L heraus auf jene gefällt wird, und dieselbe Überlegung wird auf die Lote übertragen, die innerhalb der Höhlung der Kurve auf die Gerade IK fallen, die, versteht sich, auf dieselbe Weise wie GF festgelegt wird. Was der Autor in Wahrheit zeigt, kehrt zu folgendem zurück: Dass zu einer gegebenen Kurve ABC unzählige Geraden angegeben werden können, wie GF, OE, IK, RT, aus denen von einer beliebigen nicht alle Punkte der Kurve ABC gleich weit entfernt sind. Diese einzelnen Geraden aber, von denen er dies zeigt, werden so festgelegt, das eine beliebige von jenen zwei zu einer Sehne der Kurve gezogene Lote schneidet, in zwei von der Sehne abstandsgleichen Punkten; von jenen Loten aber geht eins, etwa GAI, durch A hindurch, den Schnitt der Sehne und der Kurve. Im Allgemeinen zeigt unser Freund also nicht, dass die Punkte der Kurve ABC ungleich weit von einer beliebigen gegebenen Gerade entfernt sind, aber immerhin, dass solche Geraden gegeben sind, von denen sie ungleich weit entfernt sind. § 7 benutzt, - Fig. 2 - dass zur Geraden GE in G und E Lote GA = CE aufgerichtet wurden, sich also ein beliebiger Punkt der Verbindungslinie AC, etwa D, anschickt, den Abstand DF = AG = CE zu haben. Denn wenn es nicht wahr ist, wird entweder DF > AG oder DF < AG werden, und nachdem jeweils der eine anstelle des anderen der betreffenden Fälle FB = AG bzw. Fb = AG genommen wurde, sind als Kurve, deren einzelne Punkte von GE Abstände haben, die zu AG gleich sind, entweder ABC oder AbC gegeben; dass dies nicht geschehen könne, habe er in § 5 gezeigt.

Aus dem, was ich gesagt habe, wird klar sein, dass § 5 nicht hierher gehört; in § 8 ist eine Gerade GE gegeben, und ich habe schon hervorgehoben, dass § 5 des Autors nicht von einer gegebenen spricht. Aus dieser fließt nämlich: Wenn gerade auf AC (§ 7, Fig. 2) durch A und B Senkrechte gezogen werden und auf jenen daher von AC gleiche Teile abgeschnitten werden, dass durch die Punkte, die von AB abstandsgleich sind, eine Gerade hindurchgeht, von der die Punkte der Kurve ABC nicht gleich weit entfernt sind; dass eine solche jedoch GE ist (Fig. 2, § 7), kann nicht benutzt werden; es ist im Gegenteil sicher, das sie eine solche nicht sein kann, wenn nicht GAD = ADB = R; sobald dies benutzt worden ist, könnte sehr leicht erreicht werden, dass alle Punkte der Linie AC von GE gleich weit entfernt sind. Wenn aber zum Beispiel ∠ GAC = ∠ ACE spitz ist, werden die Teile Aa und Cc der Lote bei A und C, die von der Geraden GE abgeschnitten wurden, gleich sein, daher werden alle Lote, die zwischen A und C errichtet und von GE abgefangen wurden, ungleich werden, und in diesem Fall kleiner als Aa = Cc. Um in Kürze alles zu wiederholen: Unzählige derartige Geraden können beschrieben werden, von denen die Punkte der Kurve ABC (§ 7) ungleich weit entfernt sind. Dies dürfte dem Autor wohl auch ohne dessen mühsamen Beweis ein jeder leicht geglaubt haben. Aber dass es keine derartige Gerade sein kann, von der einzelne Punkte der Kurve AGC gleiche Abstände habe, dies zeigt er nicht, außer indem er benutzt, was in Frage steht, und sobald dies benutzt worden ist, kann ohne so große Umschweife alles kurz gezeigt werden, nämlich BAC = R.

Um Euklids Axiom zu beweisen, kehrt der Autor das Theorem von § 11 unklugerweise um. Daraus nämlich, - Fig. 3 - dass bei gegebenem Winkel LAP das größere Lot LP zu AL bei einem größeren Abstand AL begegnet als das kleinere Lot BD, schließt er in § 12, S. 56, dass ein beliebiges gegebenes Lot DB der [Linie] AD begegnet, denn es kann ein Punkt L auf der fortgesetzten [Linie] AD angenommen werden, aus dem heraus ein Lot auf AB bei einem Abstand AP > AB fällt. Da wird leicht klar, wenn BD nicht der [Linie] AL begegnet, dass kein derartiger Punkt L aufgebracht werden kann, aus dem heraus ein entlegeneres Lot als BD fällt.

§. XVII.

Es kam heraus zu Leipzig 1751 eine Dissertation, aufstellend 'Grundsätze einer Theorie über das mathematische Unendliche und einen Beweis der Möglichkeit von Parallelen, vom Autor Friedrich Gottlob Hanke aus Breslau in Schlesien'. Ausreichend stimmig und kurz ist der Beweis, außer dass er, weil er in einem Fall ausgelassen wurde, eine Ausflucht hinterlässt, durch die seine gesamte Beweiskraft vereitelt werden kann. Um zu zeigen, dass die Geraden, die drei gleiche, an eine beliebige Gerade angesetzte Lote verbinden, Teile einer einzigen Geraden sind, geht er so vor. - Fig. 10 - Er verlangt, dass einem rechtwinkligen Dreieck ABD in B ein anderes gleiches angebaut wird, das rechtwinklig in C ist; daraufhin behauptet er, nachdem CF unter dem Winkel ACB = ADB gezogen wurde und aus B heraus eine Gerade Bf unter demselben Winkel fBD, dass die Punkte F und f zusammenfallen, in denen CF und Bf die Gerade AD schneiden. Wenn nicht, sagt er, mag der Punkt F entweder oberhalb oder unterhalb von F fallen. CF soll fortgesetzt werden, wenn sie nämlich AB nicht begegnet, wird auf jener bF = FD eingefangen, die Verbindungslinie Ab wir innerhalb des Winkels BAF schneiden, und Δ AbF = Δ FCD. Also ist ∠ AbF = ∠ FDC = ∠ BAF, also größer als ∠ bAF; daher ist AF > bF = FD. Es ist aber AF = fD (in dem Fall, in welchem f unterhalb von F schneidet), also fD > FD, was widersprüchlich ist. Also wird CB die Gerade AB schneiden; hier schließt der Autor allzu eilig, dass B jener Schnittpunkt sein wird. Er sagt nämlich, wegen AF = FC, ∠ AFB = ∠ CFD und ∠ FAB = ∠ FDC ist auch das Dreieck, das auf diese Weise sichtbar wird, gleich Δ CFD. Aber aufgrund der Konstruktion ist ∠ AbF, nicht Fab oder FAB, gleich ∠ FDC, und nichts steht im Wege, wodurch Ab nicht außerhalb von ∠ DAB schneiden mag, wenn Fb = FD jenseits AB gefallen sein sollte; diesen Fall übersah der Autor, weil er nur zeigte, dass Ab nicht innerhalb des Winkels DAB fallen kann. Aber es ist notwendig, dass Ab außerhalb von jenem fällt, wenn AF = FC < FD. Von daher nämlich ist ∠ FCD = bAF > als der Winkel FDC = ∠ BAF. Wenn dagegen aber Bf oberhalb von F fällt, wird ∠ FCD kleiner sein als ∠ FDB, wegen FD, die dann kleiner ist als FC; also ist auch ∠ bAF = ∠ FCD kleiner als BAD = FDC. Daher wird auf dieselbe Weise, auf die gezeigt worden war, dass im ersteren Fall Ab nicht innerhalb ∠ BAD fallen kann, nun gezeigt werden, dass sie nicht außerhalb von jenem fallen kann. Auch dies übersah der Autor. Mit der gleichen Auseinandersetzung, sagt er, mit der zuvor gezeigt werden wird, dass die Verlängerte CF AB in B schneiden wird, was zweideutig gesagt ist. Wenn er meinte, dass die Gerade Ab nicht außerhalb ∠ BAD fallen kann, hat er sich geirrt. Dem Autor fehlt also so viel, um zu zeigen, dass die gleichen Lote durch eine gerade Linie verbunden werden können, dass eher gezeigt werden könnte, dass aus seiner Methode nichts dergleichen gemeißelt werden kann.

§. XVIII.

Außer diesen ist mir niemand begegnet, der hätte zeigen wollen, dass zwei Geraden in allen Punkten abstandsgleich sein können. Daher soll es genügen, einmal hervorgehoben zu haben, dass alle Beweise, die ich noch durchleuchten werde, mit ein und demselben Fehler arbeiten, weil sie stillschweigend als Axiom benutzen, was zu erweisen war. Denn wenn deren Autoren auch nicht fehl gehen werden, ohne Beweis anzunehmen, dass abstandsgleiche Geraden gegeben sind, gehörte es sich dennoch nicht, das durch diese Definition verhüllte Axiom den Augen der Leser entziehen zu wollen. Christoph Clavius schickt in den Kommentaren zu Euklids Elementen (Köln 1591, Folioformat), bevor er daran geht, die Theoreme über die Parallelen zu beweisen, das Axiom voraus, dass eine Linie, deren sämtliche Punkte von einer geraden Linie, die sich in derselben Ebene befindet, gleich weit entfernt sind, eine Gerade ist. Dass dann nämlich nichts in jener biegungsreich gefunden werden wird, oder dass die Linie nicht gekrümmt sein wird. Das heißt, dasselbe durch dasselbe beweisen und erklären. Dass durch Denken nicht erfasst werden kann, dass eine andere Linie außer einer geraden sich dieser Eigenschaft erfreut; dass ein Axiom aber so gewonnen worden sein muss, dass wir sofort sehen, dass das Gegenteil unmöglich ist. Hier aber durchschauen wir nur nicht, wie das Gegenteil möglich sein soll. Ich schreite freilich nicht ein, wenn einem dies im eigenen Licht genug zu leuchten scheint; umso mehr jedoch urteile ich, dass überhaupt nichts genannt werden kann, um jenes zu erhellen und zu bekräftigen, wenn du nicht dasselbe durch dasselbe erklären wolltest, weil dessen Wahrheit sich einzig und allein auf den verschwommenen Begriff der geraden und der gekrümmten Linie stützt. Für das euklidische kann jedoch vieles derartige zur Vermittlung vorgebracht werden, was in der Lage ist, genug dessen Wahrheit zu erweisen, was vor allem der herausragende Vorsitzende in seinen Anfangsgründen erreicht.

§. XIX.

Andrea Tacquet tadelt in seiner Edition der Elemente Euklids (Amsterdam 1683, Oktavformat) die euklidische Definition der Parallelen (Buch I, Definiton 36), weil sie die Natur der Parallelität nicht genug erklären würde, weil es vielleicht geschehen könnte, dass Geraden, die sich gegenseitig aneinander anschließen, niemals zusammentreffen. Aber es ist nicht nötig, dass eine Definition die Entstehung des definierten Gegenstands ausdrückt, sofern nur Merkmale dieser Art erbracht werden, die ausreichen, um jenen von allen anderen zu unterscheiden. So wurde freilich die euklidische Definition gewonnen, aus der folgt, wenn sich die übrigen Überlegungen zu ihr richtig verhalten, dass alle Parallelen Abstandsgleiche sind. Obwohl aus Taquets Definition, wenn sie eingeräumt wurde, die übrigen Anschauungen von Parallelen sehr leicht fließen, zieht er doch drei Axiome an Stelle des euklidischen hinzu, nämlich dass Parallelen ein gemeinsames Lot brauchen, dass je zwei Lote aus Parallelen auf beiden Seiten gleiche Teile ausschneiden, und (was für ihn selbst Axiom 11 und 12 ist) dass in dem Theorem nach Proposition 31 innerhalb der Schenkel eines beliebigen Winkels eine Gerade gezogen werden kann, die größer ist als eine beliebige gegebene Parallele zu einer Gegebenen. Wenn einer durch einen klaren Begriff von all dem überzeugt sein kann, wird jener ja dem euklidischen Axiom um vieles leichter Zustimmung schenken. Und weil wenn die Definition des Autors eingeräumt wurde, dies alles sehr gut gezeigt werden kann, warum sollen wir dann nicht eher genaue als klare Ideen benutzen, um die Wahrheit einzusehen? Euklid-Heuchler, wer die Wahrheiten, die niemand, sobald er sie gehört hat, ablehnen kann, lieber beweisen wollte, als sie einfach zu benutzen, so dass es scheint, dass man sogar von irgendwelchen Franzosen deswegen in Augenschein genommen werden muss.

§. XX.

Es kam heraus zu Bologna in lateinischer und italienischer Sprache: 'Kleines Werk über abstandsgleiche und nicht abstandsgleiche gerade Linien' von Pietro Antonio Cataldo (1603, Quartformat). Dieses Büchlein angezeigt zu haben, genügt. Über die Existenz abstandsgleicher Geraden scheint dem Autor niemals ein Zweifel aufgekommen zu sein, dessen Beweis übrigens sich richtig verhält, außer dass er, als er hätte beweisen können, dass nicht Abstandsgleiche zusammentreffen, in Proposition 9 nur gezeigt hat, dass diese sich immer näher aneinander anschließen. Um Nachsicht jedoch bittet er bescheiden, wenn er sich geirrt haben sollte in dem Werk, das unter vielen Bedrängnissen und Krankheiten verfasst wurde; und vierhundert Exemplare des Werks an Mathematiker zu verteilen, die er selbst nicht kennen sollte, überließ er Pater Valentino Pino, so dass gewiss das Herz des Autors und der Freimut selbst gelobt werden müssen.

§. XXI.

Ich weiß nicht, ob sie würdig sind, hier angeführt zu werden, die II Bücher der Arithmetik und die XXVII der Geometrie von Petrus Ramus, durchgesehen von Lazarus Schonerus (Frankfurt 1599, Quartformat). Jener Gegner Euklids, der die Anordnung von dessen Propositionen so tüchtig veränderte, nachdem er die Regeln seiner Logik vergessen hatte, schließt in Buch V, § 11, dass eine Linie, die eine der Parallelen schneidet, die andere auch schneidet, denn wenn sie sie nicht schneiden würde, würde sie zu jener, also auch zur ersten parallel werden. In dieser Überlegung wird das Wort Parallele in doppeltem Sinne zu sich selbst begriffen, als abstandsgleiche und nicht zusammentreffende Gerade. Im Vorausgehenden hat er nämlich nicht gezeigt, dass nicht abstandsgleiche Linien schließlich zusammenfallen. Diesen Trugschluss lässt er auch in § 13 beim Beweisen von Euklids Axiom 11 zu. Was im selben Buch § 12 über die Winkel enthält, welche die von einer dritten geschnittenen Parallelen bilden, ist Unsinn und ungenaue Sprache, kein Beweis.

§. XXII.

Unter den Einheimischen erledigte niemand von denen, die den Begriff der Abstandsgleichen gebrauchten, die Sache besser als Wolfius, der in den Anfangsgründen der allgemeinen Mathesis, Bd. 1 (Halle 1730, Quartformat), sobald seine Definition der Parallelen eingeräumt wurde, das Übrige unbeugsam und stimmig beweist, außer dass er Theorem 38 über die Gleichheit der Wechselwinkel ein wenig zu kurz hätte beweisen können, nachdem eine einfallende Linie an zwei Stellen geschnitten und aus dem Schnittpunkt heraus ein Lot auf jede der beiden Parallelen gefällt wurde, welches aufgrund von Theorem 36 auch für die Übrige bei rechten Winkeln gewesen wäre. Daher wären gleiche Dreiecke entstanden.

§. XXIII.

Einen Beweis des Theorems über die Parallelen zu stiften, versuchte Magister Friedrich Daniel Behn in seiner Dissertation über eine neue Methode, die Eigenschaften paralleler Linien zu beweisen (Jena 1761). Dass parallele, bzw. nach seiner eigenen Meinung abstandsgleiche Geraden möglich sind, benutzt er einfach in § 5, dessen Korollar 3, wenn ich das dort Gesagte richtig begreife, darauf abzielt, - Fig. 10 - dass parallele gerade Linien, wenn sie zwei gleiche Lote AB und CD ausschneiden, immer den gleichen Abstand haben, denn jede von beiden verbreitet sich geradeaus zur selben Himmelsrichtung hin. Aber wenn man benutzt, dass diese zwei Himmelsrichtungen, die gerade für ihn unendlich ferne Punkte der Geraden AC und BD sind, um das Intervall AB voneinander entfernt sind, ist klar, dass benutzt wird, dass eine Linie, die drei gleiche Lote verbindet, eine Gerade ist. Wenn diese Himmelsrichtungen entweder zusammenfallen oder um ein größeres oder ein kleineres Intervall als AB voneinander entfernt sind, werden die Geraden nicht abstandsgleich sein, zumindest nach Meinung des Autors in einer Bemerkung desselben Paragraphen. Wenn er darin vertritt, dass zum selben unendlich fernen Punkt gezogene Geraden nicht abstandsgleich sind, scheint er mir nicht darauf Acht zu geben, dass dies eine Sprechformel ist, mit der man nichts anderes zu verstehen gibt, als dass Geraden niemals zusammentreffen. Aus dem selben Grund bekräftigt er in einer Bemerkung von § 9, dass die Winkel ABD und ADB kleiner als zwei Rechte sein können, obwohl AB und AD nicht zusammentreffen, was, wie Clavius sehr gut bewiesen hat, mit seiner Hypothese nicht in Einklang stehen kann. Wenn er aber, wie es scheint, insgeheim deren Differenz von zwei Rechten als unendlich klein versteht, sagt er Wahres; denn die unter diesen Winkeln heraus gezogenen Geraden werden in der Tat parallel und abstandsgleich sein, gleichwohl sie sich für den Autor an einander anzuschließen scheinen. Sein übriger Beweis verhält sich richtig. Er enthält nämlich die elementaren Wahrheiten der Geometrie, auf die sich die Theoreme über die Parallelen stützen, vom Autor sorgfältig genug bewiesen. Aber weil der Beweis das, was in dieser Angelegenheit das Meisterstück ist, auslässt, kann er nicht als perfekt angesehen werden. Wolfius tadelt § 16, aber zu Unrecht, wenn ein Beweis nicht aus deutschen Grundzügen, sondern lateinischen verlangt wird, den ich freilich wegen der Kürze und Durchsichtigkeit jenem, den Behnius gegeben hat, bei weitem vorziehen würde. Auch der Beweis von Clavius, dass Geraden, die unter einem kleineren Winkel als zwei Rechte heraus gezogen wurden, zusammentreffen, scheint mir, muss in Augenschein genommen werden. Weil aber Hausen, Segner und Kaestner, deren Beweise der Autor in § 18-20 darlegt, nicht jede Schwierigkeit aus dem Weg räumen konnten, lag seine Methode darin, dass er keine Definition gebrauchen wollte, die er nicht beweisen konnte.

§. XXIV.

Die Geschicke unseres Theorems bei den übrigen Schreibern der Anfangsgründe zu mustern, würde lang und nutzlos werden. Weil sie sich außerdem nicht sehr untereinander unterscheiden, benutzen die meisten von ihnen, seien es Einheimische oder Auswärtige, dass Parallelen abstandsgleich sind, weshalb der übrige Beweis entweder mit der gebührenden Strenge oder nachlässig gegliedert wird. Ich erfahre, dass die Franzosen hier am meisten fehl gehen, was vielleicht nicht nutzlos sein wird, mit einigen Beispielen zu belegen. Zu Den Haag kamen 1705 im Duodezformat heraus 'Anfangsgründe der Geometrie von Pater Ignace Gaston Pardies'. Der Autor gesteht in der Vorrede selbst ein, dass die Strenge der Beweise häufiger von ihm vernachlässigt wurde, um das vorgenommene Ziel zu erhalten, indem er die geometrischen Wahrheiten so leicht wie möglich aussagt. Ein Beispiel dieser fehlerhaften Sitte, die weit über Gallien zu wuchern scheint, bietet uns gerade jenes Theorem über die Parallelen. Dass wenn Parallelen von einer dritten geschnitten wurden, die Wechselwinkel gleich sind, schleußt der Autor ein, als ob es durch natürliches Licht erkannt würde. Um dies zu erhellen, betrachtet er zwei Parallelen ganz wie die einander entgegengesetzten Ränder eines Lineals und sieht die Wechselwinkel, indem er sie den Winkeln an der Ecke gleichstellt, als gleich an. Einfallsreich zwar; wenn nicht angenommen worden wäre, dass Linien jeder Breite ermangeln.

§. XXV.

Auf ähnliche Weise lehrt Dom Clairaut in seinen geometrischen Anfangsgründen (Paris 1741, Oktavformat) zuerst in § 10 die Konstruktion von Quadrat und Rechteck und schleußt von daher die Konstruktion von Parallelen in § 11 ein, ohne eine Bedingung an die Winkel erwähnt zu haben, die die einfallende Gerade bildet. Ähnliche Beispiele von Nachlässigkeit bieten: ‘Elementare und praktische Geometrie des verstorbenen M. Sauveur von M. le Blond’ (Paris 1753, Quartformat), und: ‘Vorlesungen über Mathematik, Teil II: Anfangsgründe der Geometrie, von M. Camus’ (Paris 1750, Oktavformat), der Geraden parallel nennt, die zu einer dritten gleich geneigt sind. Auf dieselbe Weise behauptet Boscowich in den Anfangsgründen der allgemeinen Mathesis, Bd. 1 (Rom 1754, Oktavformat), dass durch natürliches Licht bekannt ist, dass Paralelen zu einer dritten gleich geneigt sind.

§. XXVI.

In den Anfangsgründen, die französisch unter dem Titel ‘Anfangsgründe der Mathematik von M. Varignon’ (Paris 1731, Quartformat) herauskamen, schneidet Varignon, und löst nicht den Knoten auf. Parallel nennt er (Definition 5) solche in derselben Ebene zu einer dritten gleich geneigte Geraden, die einen äußeren Winkel haben, der dem auf derselben Seite entgegengesetzten inneren gleich ist. Das Theorem ist wahrer, als es die Definition ist; und das umso mehr, weil es niemanden gibt, der mit dem Begriff der Parallelen nicht dies verbindet, dass sie niemals sich begegnen. Streit werde ich gerade ihm wegen dieser Angelegenheit nicht verursachen. Darin aber scheint er fehl gegangen zu sein, dass er stillschweigend benutzt, welche Punkte der zwei Parallelen auch immer schließlich als Gerade verbunden werden, dass der äußere Winkel dem inneren gleich sein wird. Wir wollen ihm nämlich einräumen, - Fig. 10 - dass alle parallelen Linien wie AC und BD als Minimum zwei Punkte B und C haben, welche als Gerade, die BC verbindet, ACB = CBD bilden; was? folgt dasselbe nicht auch für alle Punkte dieser Linien wie C und D? So könnte sehr leicht gezeigt werden, dass in einem beliebigen Dreieck die Winkelsumme zwei Rechten gleich ist. Wenn genau dies aber dem Autor nicht eingeräumt wird, werden alle seine folgenden Beweise umgeworfen. Denn um diese Eigenschaft der Dreiecke zu zeigen, schickt er die Theoreme über die Mittelpunkts- und Peripheriewinkel des Kreises mit Quantität und Maß voraus. In Korollar 2 von Theorem 13 zeigt er richtig, dass die Kreisbögen, die innerhalb von zwei parallelen Sehnen ausgeschnitten werden - ein Radius ist zu beiden von diesen senkrecht -, gleich sind. Aber schon in Theorem 17 will er zeigen, dass der Winkel zwischen Mittelpunkt und Peripherie ABO gleich der halben Summe der Bögen NM und OA ist, die von dessen Schenkeln ausgeschnitten werden. Wird nämlich, sagt er, - Fig. 11 - durch den Mittelpunkt C zu MO eine Parallele GE gezogen, wird der Bogen GM = EO sein. Aber mit Recht werden wir hier fragen, ob sie, die sie in C zu GE senkrecht ist, dies auch zu MO sein wird. Daraus, dass der Winkel bei B gleich dem Winkel bei K ist, folgt dies gewiss nicht. Von daher kann sich der Autor nicht auf Korollar 2 von Theorem 13 berufen, er zeigt auch nicht, dass die Bögen GM und EO gleich sind, von wo aus die gesamte Argumentation und alles übrige, was über ihr aufgebaut wurde, zerbröckelt zusammenstürzen.

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Thesen

1. Wer behauptet, dass die Seele materiell ist, hat kein Recht, deswegen zu behaupten, dass sie sterblich ist; und wer glaubt, bewiesen zu haben, dass sie unmateriell ist, hat fast nichts damit erreicht, zu zeigen, dass sie unsterblich ist.

2. Raum wird in der Methaphysik richtigerweise durch die Anordnung von koexistenten Dingen definiert, von denen sich keins in einem anderen befindet.

3. Der Cartesische Beweis der göttlichen Existenz aus dem Begriff des ganz vollendeten Seienden ist, nicht einmal seitdem Wolfius jenen verbessert hat, absolut, er kann auch überhaupt nicht absolut gemacht werden.

4. Die heftigeren Bewegungen des Geistes, die man Affekte nennt, stellen einen großen Teil des menschlichen Glücks dar.

5. Wer Mathesis und Physik nicht kennt, kann nicht die Seele kennen.

6. Es gibt keine Lust ohne Empfindung der eigenen Vollendung.

7. Die belebten Dinge wurden nicht wegen dem Menschen geschaffen.

8. Es ist wahrscheinlich, dass die Seelen der Blöden, wenn ihre Körper zerstört sind, zu anderen wandern.

9. Es ist sehr wahrscheinlich, dass genau im Moment des Todes selten ein großer Schmerz empfunden wird.

10. Vollendung ist die Übereinstimmung in der Vielfalt. Wer sie Gesamtheit der positiven Realität nennt, die dem Seienden erteilt wird, sagt entweder dasselbe oder nichts.

11. Die deutsche Sprache ist geeigneter, Lehren und Wissenschaften zu vermitteln, als die lateinische.

12. Aus den öffentlichen Gesetzen der Juden kann keine Regel gezogen werden, die für uns in ähnlichen Fällen einzuhalten wäre.

13. Diejenigen, die mehrere Götter verehrten, verbanden mit der Stimme eines Gottes den Begriff dessen, was wir das notwendige Seiende nennen. Also irrten sie viel gerechtfertigter als jener, der bezweifelt, dass es überhaupt einen Urheber des Universums gibt, der vom Universum verschieden ist.

14. Die logische Wahrheit läßt sich schlecht definieren: wegen der Übereinstimmung eines Urteils mit der Sache, über die geurteilt wird.

15. Dass alle Völker Opfer gebrauchten, macht glaubhaft, dass sie alle von solchen Vorfahren ausgingen, denen durch Offenbarung jene befohlen worden waren.

16. Ein Eid bindet, wenn nicht von anderswo Verbindlichkeit erwächst, von sich aus nicht.

17. Die Kreuzzüge waren, wieweit es deren Ziel war, die christliche Religion gegen die Mohammedaner zu behaupten, berechtigt.

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Den vorvornehmsten Herrn Respondenten

grüßt vielmals

der Vorsitzende

Als du dir, um öffentlich zu zeigen, wieviel du im Erörtern über einen bestimmten Gegenstand vermagst, der vor allem der mathematischen Gelehrsamkeit angehört, mich als Gefährten erbatst, hast du als Bedingung hinzugefügt, dass es erlaubt sein soll, ein Muster deines Fleißes herauszugeben, zumindest nicht etwas von einem anderen Geschriebenes zu verteidigen. Also schlug ich dir ein Thema vor, das zwar zu den unmittelbaren Anfängen der Anfangsgründe gehört, aber in dem große Geister arbeiteten und dabei ihre Kräfte nicht erfolgreich einsetzten. Du hast die Geschichte dieses Gegenstandes meinen Ratschlägen folgend so geschrieben, wie ich mir lange gewünscht hatte, dass sie von irgendjemandem geschrieben wird, Sorgfalt im Sammeln, Spitzfindigkeit im Aburteilen und Mäßigkeit im Ausdruck wirst du den Lesern genug erweisen, weniges aber hast du mir überlassen, hinzuzufügen, was ich an den entsprechenden Stellen eingefügt habe, und ich darf glauben, dass kaum ein Versuch von gewisser Bedeutung übrig bleiben wird, den du nicht untersucht hast. Dies Lob kann ausreichen für Deine Fleißigkeit, dass nach der wohl sehr reichlichen Ernte deinem Ährenbündel sehr viel Platz in der Gelehrtengeschichte gehört, als Zeichen dafür kann wohl dienen, dass wir, als wir dies behandelten, auf irgendeinen Ptolemaios gestoßen sein dürften, wohl sicher irgendein Buch des Klaudios, das dem großen Fabricius unbekannt war, den mein Leipzig deinem Hamburg gegeben hatte. Dass wir irgendwann den wirklichen Beweis haben werden, dessen Gespinste du zerstreut hast, dadurch dass das Licht der Geometrie herangebracht wurde, darf ich kaum erhoffen, wenn nicht die Lehre von der Lage sorgfältiger ausgebaut wird, deren Analysis mit Leibniz untergegangen ist.


Wolfius, De studio mathematico § 144; Elementa matheseos, Bd. 5, S. 271.
Wenn Wolfius eingeräumt wird, dass zu einem gegebenen Dreieck ein ähnliches konstruiert wird, wenn über einer beliebigen Basis zwei Winkel den zweien des gegebenen Dreiecks gleich werden, ist die Sache auch fertiggestellt, aber dieser Version der Ähnlichkeit zu einem geometrischen Gegenstand widersprechen noch die strengeren Verfechter Euklids. Es bleibt also nichts übrig, als dass wir den Anhänger unserer Wissenschaft bitten, dass sie eingeräumt wird, was kein Gesunder ablehnen kann. So verhandeln wir, offen, wie es sich gehört, als Wächter des reinsten Wahren mit jenem und tragen seiner Gelassenheit an, einzuwilligen, weil andere, mehr pfiffige als wir, wie von höchstem Gericht die Schuld aus ihm entwinden werden.

Was du über die französischen Schreiber in § 22 gesagt hast, gilt nicht nur hier, sondern auch an anderen Stellen der Geometrie, dass jene am meisten von der euklidischen Strenge abbiegen. Es verdient jedoch, entschuldigt zu werden, was von ausreichend guten Gründen - es ist sicherlich nicht gerade das Beste - ausgeht. Es studieren bei jenen die in unseren Wissenschaften führenden Männer, und selbst die Königssöhne - welch ein Vorbild freilich -, die Deutschen, zumindest die Nachahmer von Fehlern, folgen seltener dem dienenden Geschlecht; also konnten unsere Fachleute, die dabei sind, ein Volk zu belehren, dessen erster Antrieb, auch beim Lernen, allein schon größer ist als der der Manneskräfte, nicht pedantischer darauf achten, auszusprechen, wer abgelehnt hatte, dass ein königlicher Weg zur Geometrie offen steht. Der Herr Clairaut


Élémens de Géométrie S. X.
erhob sogar sehr geistreich für Euklid, dass die Sophisten besiegt werden mussten, weil sie, im Begriff über höchst offensichtliche Dinge das bisschen Ruhm der Spitzfindigkeit zu erhaschen, Zweifel bewegt hätten, dass die Unsrigen als Menschen viel gutmütiger sind; ich glaube, dass sich jene Spitzfindigkeit der Sophisten schon von den menschlichen Lehren zu den göttlichen wendet. Diese deine Schrift soll wohl lehren, dass diese freilich vor allem in den Anfängen der klarsten der Wissenschaften gefunden werden, die nicht bewiesen werden können, auch wenn es hieße töricht zu sein, jene nicht zu glauben. Und schließlich wird mit diesem Thema erreicht werden, dass dieser dein Fleiß von dem erhabeneren Studium der heiligen Gelehrsamkeit, in dem du dich aufhältst, nicht ganz und gar fern liegt. So leb wohl und sei mir weiterhin gewogen. Es soll abgegeben werden zu Göttingen im Monat August des Jahres 1763 der christlichen Ära.

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