Der erste,
der das Parallelenproblem wirklich verstand, war Johann
Carl Friedrich Gauss (1777-1855). Schon als
Fünfzehnjähriger
versuchte er 1792, das Parallelenpostulat aus den übrigen vier
Postulaten
herzuleiten. Nachdem er bis 1813 nur wenig Fortschritte erzielt hatte,
schrieb er:
Bei der
Theorie
der Parallelen sind wir jetzt noch nicht weiter als Euklid.
Dies ist ein
beschämender
Teil der Mathematik...
Um 1817 war
Gauss jedoch zur Überzeugung gekommen, dass das fünfte
Postulat
unabhängig von den übrigen vier ist. Er fing
daher
damit an, die Konsequenzen einer Geometrie herauszuarbeiten, in der es
zu einer Geraden und einem außerhalb der Geraden gelegenen Punkt
mehr als eine Parallele durch diesen Punkt gibt. Gauss hat seine
Überlegungen
nie veröffentlicht und behielt seine Resultate für sich. Die
Beschäftigung mit dem Parallelenaxiom war damals nämlich
nicht
gut angesehen. So dominierten zum Beispiel in der Philosophie die
Ansichten
Immanual Kants, und dieser hatte behauptet, die Euklidische Geometrie
sei
eine unvermeidbare Denknotwendigkeit.
Gauss diskutierte
allerdings die Parallelentheorie mit dem befreundeten Mathematiker Farkas
Bolyai, der mehrere falsche Beweise des Parallelenpostulats
geliefert
hatte. Farkas Bolyai unterrichtete seinen Sohn János in
Mathematik
und hatte diesen gewarnt, nur ja keine einzige Stunde an das
Problem
mit dem fünften Postulat zu verschwenden. János
Bolyai wagte sich trotzdem an das Problem.
Im Jahr
1823 schrieb Bolyai an seinen Vater und
berichtete:
"Ich habe einige so wunderbare Dinge entdeckt, dass ich erstaunt
war
... aus dem Nichts heraus habe ich eine fremde neue Welt
erschaffen".
Bolyai brauchte noch zwei weitere Jahre, bis er alles niedergeschrieben
hatte und seine
Fremde neue Welt 1825
als 24seitigen Anhang an ein Buch seines Vaters publizieren
konnte.
Zur Verwirrung der Nachwelt erschien dieser Anhang, bevor das Buch
selbst
gedruckt war.
Nachdem
Gauss die 24 Seiten gelesen hatte, schrieb er einem Freund: "Ich
halte diesen jungen Geometer für einen Genius ersten Ranges".
Obwohl diese Worte sehr beeindruckend klingen, machte Gauss Bolyai die
niederschnetternde Eröffnung, dass er dies alles schon früher
entdeckt und nur nicht publiziert habe.