Berufsaussichten für Mathematiker (Artikel aus dem Jahre 1997)  
 
 
 

Stellen für Mathematiker

Wenn ein Abiturient zwar Neigung und wohl auch Begabung für die Mathematik zu haben meint, soweit man das eben aufgrund des Schulunterrichts beurteilen kann, wenn er aber doch nicht so entschieden - um nicht zu sagen: einseitig - ist, daß er sich nach gar nichts anderem umsieht, so wird er sich durch die Veröffentlichung des Arbeitsamtes über den Arbeitsmarkt für Mathematiker nicht sehr ermutigt fühlen, Mathematik zu studieren. Und wenn er dann die Artikel durchsieht und sich an den Illustrationen und Überschriften orientiert, so wird er den Eindruck gewinnen, Mathematiker, wenn sie überhaupt eine Stelle finden, sitzen den ganzen Tag vor dem Computer und starren auf den Bildschirm.

Auch das wird ihn (und zumal sie) nicht anziehen. Noch bedenklicher sehen die Übersichten in manchen Zeitungen aus. So glaubt eine überregionale Zeitung herausgefunden zu haben, daß Mathematiker als Berufsanfänger viel häufiger arbeitslos sind, als beispielsweise Chemiker.

Gute Aussichten für Mathematiker

All dies steht in unvereinbarem Widerspruch zu unseren Erfahrungen. Wir führen seit langem, soweit wir die Informationen bekommen können, sorgfältig Buch über das Ergehen unserer Schüler: Wir wissen von keinem Fall eines Mathematikstudenten, der nicht bald nach Abschluß seines Studiums eine angemessene Stelle gefunden hätte, und das gilt nicht nur Heute. Wohl war das Stellenangebot zu verschiedenen Zeiten verschieden reichlich: Mal konnte man wählen, zu welcher Firma man geht, und mal mußte man nehmen was man kriegte, aber arbeitslos ist einer unserer Schüler nur allenfalls einmal ein paar Monate geworden, wenn er allzu seßhaft bei einer Firma geblieben ist, die schließlich bis zur Selbstaufgabe Stellen abgebaut hat. In letzter Zeit haben Studenten, die sich frühzeitig danach umgetan haben, schon vor Abschluß ihres Studiums ihre Stelle gehabt, und wir haben erlebt, daß ein Student in einer Abschlußprüfung durchfiel, aber gleich zur Wiederholung antreten wollte, um pünktlich am Ende des Monats seine Stelle übernehmen zu können.

Und auch das Bild des einsam vor dem Bildschirm hockenden Tüftlers mit unterentwickelten menschlichen Bezügen hat keine Ähnlichkeit mit der tatsächlichen Arbeit der Mathematiker in der Wirtschaft.

Von den Lehrberufen sei dabei einmal abgesehen, denn wenn unsere Diplommathematiker nach unserer Erfahrung die besten Aussichten haben, so sieht es gegenwärtig freilich für Lehramtskandidaten nicht so rosig aus. Immerhin, wenn ein Lehramtskandidat sich in der Fachwissenschaft, der Mathematik, tüchtig ausbildet, so hat er gute Aussichten, eine Stelle in der Wirtschaft zu finden.

Besonderheiten und Tücken der Statistik

Wie ist die Diskrepanz zwischen unseren Erfahrungen und den Empfehlungen aus berufenem und aus unberufenem Munde zu erklären? Es steht doch bei uns nicht anders, als an den meisten anderen Mathematischen Instituten. Beim Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultätentag 1997 wurde von 15000 arbeitslosen Chemikern gesprochen, während die Berufsaussichten der Mathematiker als gut bezeichnet wurden. Manche Fachbereiche bemühen sich, ihre Studenten durch besonders berufsbezogene Ausbildungsgegenstände für den Arbeitsmarkt vorteilbringend zu rüsten. Aber die Wahrheit ist, daß Mathematiker immer gebraucht werden, und zwar Studenten der Reinen so gut wie Studenten der Angewandten Mathematik.

Zunächst also sind allzu grobe Fehler der Statistik zu vermeiden: Chemiker beenden ihr Studium fast nie mit dem Diplom; sie schließen ein Promotionsstudium an, werden währenddessen innerhalb eines Projekts, oft aus Drittmitteln, bezahlt, wenn vielleicht auch nur geringfügig. Wenn sie schließlich promoviert sind und das Studium beenden, gelten sie nicht mehr als Berufsanfänger. Daher gibt es wenige arbeitslose Berufsanfänger in der Chemie.

Mathematiker beenden ihr Studium in aller Regel mit dem Diplom, und sie gelten mit dem Diplom zurecht als voll ausgebildet. Manche werden sich dann beim Arbeitsamt melden, aber wenige nur werden vom Arbeitsamt vermittelt. Meistens bewerben sich die jungen Diplommathematiker direkt bei Firmen, und nicht nur auf Stellenanzeigen hin. Weil sie von den Arbeitsämtern keine Unterstützung beziehen, werden sie oft auch nicht rückmelden, wenn sie inzwischen eine Stelle gefunden haben. In manchen Tätigkeitsfeldern kann auch ein gelegentliches Jobben stetig in eine dauernde Arbeit übergehen. Von daher ist es schwierig für die Arbeitsämter, den Arbeitsmarkt der Mathematiker, einer zudem kleinen Population von Experten, zu beurteilen.

Ausbildung und Berufsfeld

Noch trügerischer ist das zumeist benutzte Verfahren, der Anzahl der in jedem Jahr mit Abschluß von den Hochschulen Abgehenden auf der einen Seite, die Anzahl der angebotenen Stellen auf der anderen Seite gegenüberzustellen. Mathematiker arbeiten und bewähren sich meistens in Tätigkeitsfeldern, die nicht speziell für Mathematiker ausgeschrieben sind. Unternehmer geben gerne öffentliche Empfehlungen ab, welche Spezialkenntnisse die jungen Menschen heute in ihrem Studium erwerben sollten. Aber Mathematiker sind für Tätigkeiten, für Techniken und Arbeitsfelder ausgebildet, die es heute noch nicht gibt, so wie es ja auch viele heutige Berufsfelder noch nicht gab, als die heutigen Leiter der Wirtschaft studiert haben. Mathematiker sind anpassungsfähig. Ihre Grundlagenausbildung und ihr strukturelles Interesse macht sie aufgeschlossen und geradezu interessiert und geneigt für neue Methoden.

Der Fehler der statistischen Betrachtung wird offenbar, wenn man das Ausbildungsprofil - wie man es heute nennt - noch präziser faßt. Manche unserer Studenten haben Zahlentheorie als Spezialgebiet im Diplom. Sehen wir mal von den wenigen ab, die an der Universität bleiben: Haben Sie schon mal eine Anzeige gesehen, in der eine Firma eine Stelle für Zahlentheoretiker anbietet? Also müßten unsere Zahlentheoretiker alle arbeitslos werden? Werden sie aber nicht! Sie gehen eher weg wie die warmen Semmeln.

EDV-Kompetenz

Besonders besorgt zeigen sich die Ratgeber darum, daß die Studenten sich mit Computern befassen, daß sie EDV-Kenntnisse erwerben. Denn was tun Mathematiker in der Wirtschaft? Sie programmieren, sie betreuen Programme, sie betreuen Netze ... . Also sollten sie vor allem lernen, was sie dann tun.

So scheint es, und doch ist es nicht so. Um es einmal in einer Analogie zu sagen: Ein Schriftsteller sitzt lange Zeit jeden Tag vor der Schreibmaschine (heute wohl auch ein PC) und schreibt viele Seiten. Doch wird man ihm wohl kaum empfehlen, sich auf seinen künftigen Beruf vor allem durch Schreibmaschinenkurse vorzubereiten. Ein Kurs von ein paar Wochen wäre gut, aber eigentlich geht es darum, was er schreibt: So auch für den Diplommathematiker im Beruf.

Natürlich gibt es Studenten, die eine Abneigung haben oder kultivieren, überhaupt Computer zu berühren. Sie werden es schwer haben, als Mathematiker eine Beschäftigung zu finden. Im allgemeinen aber macht die elektronische Datenverarbeitung den Mathematikern keine Schwierigkeiten, und das wissen auch die beschäftigenden Firmen. Aus der Arbeit mit den Studenten haben wir die Erfahrung gewonnen, daß die begabteren Mathematiker auch die geschickteren Programme schreiben. Nur bei wenigen Aufgaben steht die Datenverarbeitung selbst im Zentrum der Arbeit. Eigentlich geht es bei dem Mathematiker, wenn er denn programmiert, um Verständnis, Organisation und Strukturierung dessen, was er programmiert.

Und was wird das sein, worauf soll er sich vorbereiten? Das eben ist nicht vorherzusehen, und es macht die Fähigkeit des Mathematikers aus, für die er geschätzt ist, daß er auf keinen Gegenstand festgelegt ist: Speicherung und Bearbeitung von Katasteramts-Plänen oder Plänen kommunaler Versorgungsleitungen, Lagerhaltung und -verwaltung, Lohnbuchhaltung, Organisation von Fahrplänen oder Stundenplänen, Versuchsplanung und statistische Begleitung, Wetter- und Gezeitenvorhersage, Konfiguration von Maschinen, Steuerung von Fräsen, Aufstellen von Kundencharakteristiken und Analyse der Kreditsicherheit, Verschlüsseln, Entschlüsseln, Erkennen von Personen, von Geldscheinen, von Fehlern ... .

Natürlich gibt es nach wie vor die klassischen Themen der Angewandten Mathematik: Statistik, Statik, Dynamik mit daraus resultierenden numerischen Problemen. Aber weil sich die Beschäftigungsfelder für Mathematiker insgesamt so sehr ausgeweitet haben, macht die Numerik heute nur einen Teil der Arbeit von Mathematikern aus.

Empfehlung

Die Aussichten für Mathematiker sind gut und sie waren in den letzten 40 Jahren nie so schlecht, daß Diplommathematiker mit ordentlichem Abschluß längere Zeit arbeitslos blieben. Aber das heißt nicht, daß man jetzt jedem Abiturienten empfehlen sollte, Mathematik zu studieren. Die Mathematik verlangt eine besondere Neigung und Begabung.

Doch wer Neigung zur Mathematik zu spüren glaubt und dafür begabt zu sein hofft, der sollte es mit der Mathematik versuchen. Und versuchen heißt: mit vollem Einsatz beginnen. Im Mathematikstudium scheiden sich die Geister schon nach wenigen Monaten. Wer es schafft, schult und bereichert seine geistigen Fähigkeiten und wird auch seinen guten Lebensunterhalt verdienen. Und wer nicht am rechten Platze ist, der merkt es bald und verliert nicht viel Zeit.


 
 
 
 

Quelle:

Universität Regensburg REGENSBURG, 16.09.97
Naturwissenschaftliche Fakultät I e-mail-Anschrift Dekanat Mathematik:
- Mathematik - Bettina.Pusch@verwaltung.uni-regensburg.de