Prof. Dr. Franz-Reinhold Diepenbrock, Fachbereich C, Bergische Universität Wuppertal

Die Basketballaufgabe aus dem Zentralabitur Nordrhein-Westfalen 2008 Leistungskurs Mathematik (Aufgabe M LK HT 7)
Sie haben vielleicht der Presse entnommen, dass eine Teilaufgabe (ohne zusätzliche Angaben) nicht lösbar ist. Aber es gibt einen noch viel wesentlicheren Kritikpunkt. Schauen Sie auf die Seite http://www.stat-math.uni-essen.de . Dort finden Sie einen Link zu einer sehr treffenden, von Herrn Prof. Dr. P.L. Davies, Universität Duisburg-Essen, verfassten Stellungnahme und zum Originaltext der Aufgabe.

Der in dieser Stellungnahme ausführlich diskutierte schwerwiegende Mangel an der Aufgabe war der Anlass für einen offenen Brief an die Ministerin für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, den ich zusammen mit
Prof. Dr. Laurie Davies, Essen,  Prof. Dr. Holger Dette, Bochum, und Prof. Dr. Walter Krämer, Dortmund, unterzeichnet habe:  offenerbrief_schulministerin.pdf

Eine Bemerkung zu diesem offenen Brief: Manche Presseartikel zu diesem offenen Brief erwecken den Eindruck, dass sich die vier Verfasser auch zu der Oktaeder-Aufgabe im Zentralabitur geäußert hätten. Das ist nicht der Fall. Weder in dem offenen Brief noch in der oben erwähnten Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Davies zu der Basketballaufgabe findet sich eine Stellungnahme zu der Oktaeder-Aufgabe.

Und Ihre Meinung ? Rufen Sie mich an (Tel. 0202 4392516 und 0202 425960 oder schreiben Sie eine Email an mich: 
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Ergänzung (27.Oktober 2008)
Eine Antwort des Schulministeriums auf den offenen Brief ist bisher immer noch nicht eingetroffen.
Auf den Internetseiten des Schulministeriums ist seit Ende September die Originalaufgabe mit der (unsinnigen) Modelllösung des Ministeriums ohne jegliche Ergänzung und ohne jeglichen kritischen Kommentar veröffentlicht. Wo findet man die Aufgaben und Lösungen? http://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/abitur-gost/fach.php?fach=2 
Wenn man es zynisch formuliert, könnte man ja sagen: Schön, dass die Schüler die Aufgabe mitsamt der "Lösung" (Lösung in Anführungszeichen) sehen, damit sie auch lernen, bei unsinnig gestellten Aufgaben bzw. Aufgabenteilen "Lösungen" zu finden und sich damit Punkte zu holen. Aber weniger schön ist es, dass die Lehrer "Vorbilder" für Aufgabenstellungen sehen, die mehr als fragwürdig sind.
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Einfach erklärt : für alle, die es interessiert: für Studierende, Schüler, Lehrer, Mitarbeiter des NRW-Schulministeriums und für die NRW-Schulministerin:

Was ist an der Aufgabe am allerschlimmsten?


In Aufgabenteil b heißt es: "Untersuchen Sie auf dem Signifikanzniveau von 5 % , ob Nowitzkis Trefferanzahl bei Auswärtsspielen (1) .... (2) signifikant unter dem Erwartungswert für Heimspiele  liegt.
Da es 263 Freiwürfe bei Auswärtsspielen und 288 Freiwürfe bei Heimspielen gab, ist klar, dass in dem Vergleichszusammenhang mit "Erwartungswert für Heimspiele" der Erwartungswert für die Trefferanzahl bei 263 (fiktiven) Heimspiel-Freiwürfen gemeint sein muss. (Andernfalls würde man Äpfel mit Birnen vergleichen). Als "Erwartungswert für Heimspiele" wird in der "Lösung" (Lösung in Anführungszeichen) des Ministeriums die Zahl

267/288 mal 263

verwendet. Die Wahl dieser Zahl ist so zu verstehen, dass n=263 die Anzahl der Versuche ist - das ist richtig - und 267/288 die Trefferwahrscheinlichkeit bei Heimspielen ist - das ist einfach falsch. Denn 267/288 ist keine Trefferwahrscheinlichkeit bei Heimspielen, sondern es ist die bei 288 Versuchen beobachtete relative Häufigkeit. Hier (und leider nicht nur hier) werden zwei Begriffe vermengt, die man strikt auseinanderhalten muss: die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis einerseits und die relative Häufigkeit, mit der das Ereignis bei einer bestimmten Anzahl von Versuchen eintrifft. Wenn man bei 500 Würfen mit einer Münze beispielsweise zweihundertdreiundvierzigmal das Ergebnis Kopf und zweihundertsiebenundfünfzigmal das Ergebnis Zahl erhält, dann ist der Quotient 243/500 die zufällige relative Häufigkeit des Ergebnisses Kopf. Das bedeutet aber nicht, dass dies gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit für dieses Ergebnis ist. Aus physikalischen Gründen könnte man im allgemeinen annehmen,  dass die Wahrscheinlichkeit für Kopf gleich 1/2 ist. Die Zahl 243/500 ist im Sinne der Schließenden Statistik eine Schätzung für die Wahrscheinlichkeit des Ergebnisses Kopf, und gerade darum geht es (unter anderem) in der Schließenden Statistik: Wahrscheinlichkeiten durch relative Häufigkeiten zu schätzen, allgemeiner: unbekannte Parameter durch zufallsabhängige Kennzahlen, die aus zufallsabhängigen Beobachtungen gewonnen werden. Wer in einer solchen Aufgabenstellung diese strikt zu trennenden Begriffe in einer solchen Weise vermengt, der setzt sich dem Verdacht aus, er habe vielleicht gar nicht verstanden, worum es bei der Schließenden Statistik überhaupt geht.

Das besonders Absurde und Unlogische an der Aufgabenstellung besteht darin, dass der Schüler die zufallsabhängige relative Häufigkeit 231/263 bei Auswärtsspielen korrekt als eine zufallsabhängige relative Häufigkeit behandeln soll, aber die zufallsabhängige relative Häufigkeit 267/288 bei Heimspielen in ein- und demselben Aufgabenteil nicht als zufallsabhängige relative Häufigkeit, sondern als eine Wahrscheinlichkeit p behandeln soll.

Aber glauben Sie nicht, dass die Aufgabenstellung zu (1) besser ist! Und die Aufgabenstellung in Teil a hat nur einen Vorteil: hier soll der Schüler eine zufallsabhängige relative Häufigkeit wie eine Wahrscheinlichkeit behandeln, aber ihm wird wenigstens nicht zugemutet, dass er die eine relative Häufigkeit so und die andere relative Häufigkeit ganz anders behandeln soll (das ist dann wenigstens nicht in sich so unlogisch).

Und warum können das Ministerium, die Lehrer und die Schüler den Aufgabenteil b  "lösen"?

Der alte Witz: Der Klassenraum ist 10 Meter lang und 4 Meter breit. Wie alt ist der Lehrer? Natürlich 40 Jahre. Was soll man denn sonst antworten? Aber Spaß beiseite!
Der Schüler hat das Problem kennengelernt: Gegeben ist eine zufallsabhängige relative Häufigkeit x/n eines bestimmten Ergebnisses bei n Versuchen, zu untersuchen ist, ob diese relative Häufigkeit sich signifikant von einer festen (nicht zufallsabhängigen) vorgegebenen Wahrscheinlichkeit p unterscheidet. Oder auch: Es ist zu untersuchen, ob die absolute Häufigkeit x sich signifikant von dem entsprechenden Erwartungswert n mal p unterscheidet. Was soll der Schüler hier nun tun, wenn hier doch solch ein p gar nicht gegeben ist? Er nimmt statt des Heimspiel-p das Heimspiel-x/n , es bleibt ihm ja nicht viel anderes übrig. Es sei denn, er hat im Unterricht nicht nur Statistik-Rituale eingeübt, sondern ein wirkliches Verständnis von Schließender Statistik gewonnen. Dann bleibt ihm nur die Möglichkeit, die Aufgabenstellung zu kritisieren und sicherheitshalber - zwecks Erlangung von Punkten - hinzuschreiben, wie man eine unsinnige Aufgabe in unsinniger Weise löst.
Wenn der Schüler im Unterricht auch Zweistichprobenprobleme kennengelernt hätte (!) - aber er hat es nicht - , dann könnte er auch noch auf die vernünftige Idee kommen, die Aufgabe zu kritisieren und dann abzuändern: nämlich zu untersuchen, ob die zufallsabhängige Trefferhäufigkeit bei Auswärtsspielen signifikant niedriger als die zufallsabhängige Trefferhäufigkeit bei Heimspielen ist. (Dies führt aber zu einer anderen Berechnung als zu der Berechnung bei der obigen "Lösung".)










29.1.2009